Können wir Konflikte vermeiden?
Konflikte gehören zu unserem Alltag: in einer Beziehung, um eine Sache, in der Beurteilung eines Sachverhalts, um Zuständigkeiten und so weiter. Die Frage ist nicht, ob wir Konflikte vermeiden können, sondern wie wir mit Konflikten umgehen wollen.
Wir haben die Chance, an Konflikten persönlich und in der Beziehung zu wachsen. Wenn sich Konflikte aber verfestigen und verstetigen, werden sie zur Belastung für die Betroffenen, für deren Umfeld, sie werden dann zunehmend unkontrollierbar und destruktiv.
Sind Konflikte immer negativ?
Dass Konflikte nicht zwingend negative Konsequenzen haben müssen, mag erstaunen. Doch ein neutraler Blick auf Konflikte kann die Perspektive verändern. Dann sehen wir folgendes: Konflikte unterbrechen unseren Alltagstrott, sie machen auf Probleme aufmerksam, erkennen den Bedarf an Veränderung, sie hinterfragen etablierte Strukturen und sind so der Anstoß für Fortschritt. Konflikte führen zu Klarheit und einem tieferen Verständnis und können so die Identifikation mit einer Aufgabe oder einem Unternehmen stärken. Konflikte erhöhen die Handlungsbereitschaft und entfalten eine spezifische Dynamik. Gar nicht so übel, für ein oft gemiedenes und viel gescholtenes Phänomen! Entscheidend ist nur, wie wir mit Konflikten umgehen.
Welche Arten von Konflikten gibt es?
Wir können im Umgang mit Konflikten diese kategorisieren und typologisieren. Doch in Wahrheit ist jeder Konflikt so einzigartig wie die Menschen, die daran beteiligt sind. Jeder Konflikt ist Ausdruck eines individuellen Gegensatzes und verlangt nach einem ebenso spezifischen Umgang. Dennoch ist die Schaffung allgemeiner Leitlinien für den Umgang mit Konflikten sinnvoll: Ein institutionalisiertes Konfliktmanagementsystem gibt Sicherheit und sorgt für die Etablierung einer konstruktiven Konfliktkultur.
Was spricht für ein Konfliktmanagementsystem?
Konflikte verursachen enorme Kosten (siehe unten), stören die Prozesse, senken die Produktivität, verunsichern und stören die Beziehung unternehmensintern aber auch zu Kunden und Lieferanten. Die damit verbundenen Kosten können deutlich reduziert oder ganz vermieden werden. Zugleich wird das Betriebsklima verbessert, die Attraktivität des Unternehmens erhöht und die Innovationskraft gestärkt.
Was umfasst ein Konfliktmanagementsystem?
Ein Konfliktmanagementsystem baut auf drei wesentlichen Komponenten auf:
- Es gibt ein etabliertes Konfliktinterventionsspektrum,
- professionell agierende Personen im Unternehmen tragen das System und
- allen Mitarbeitern sind die Regeln und Prozesse im Umgang mit sich anbahnenden oder bereits entflammten Konflikten bekannt, sie haben diese verstanden und wissen, was zu tun ist.
Welche Kosten werden durch Konflikte verursacht?
Unkontrollierte und destruktive Konflikte sorgen insgesamt für eine Stimmung des Misstrauens und der Unsicherheit, das Betriebsklima leidet. Die Folge sind eine steigende Fluktuation, das Engagement sinkt, Arbeitsprozesse werden verschleppt und verzögert, die Produktivität leidet, Krankenstände nehmen zu, das Verhältnis zu Kunden und Lieferanten beginnt sich zu verschlechtern und so weiter.
Gerade für den Nachweis eines monetär messbaren Erfolges eines Konfliktmanagementsystems ist es zu empfehlen, zu Beginn eine Konfliktkostenanalyse durchzuführen. Denn Konflikte (egal ob offene oder im Untergrund schwelende) verursachen unkontrolliert massive materielle und immaterielle Schäden. Die Kosten in Unternehmen ohne Konfliktmanagementsystem belaufen sich nach neuesten Untersuchen auf rund 20% der gesamten Personalkosten! Hinzu kommen mit Konflikten verbundene Schadenersatzkosten, Verfahrenskosten, Transaktionskosten sowie die enormen Kosten verbunden mit gescheiterten oder verschleppten Projekten (vgl. Konfliktkostenstudie). Siehe auch die Kosten durch psychisch bedingte Störungen und Krankenstände.
Was ist das übergeordnete Ziel eines Konfliktmanagementsystems?
Ein Konfliktmanagementsystem ist getragen von dem Gedanken, machtbasierte Vorgehensweisen sowie das Denken in Gewinnern und Verlierern zu überwinden. Scheinbar rasche und kurzfristig verordnete „Lösungen“ führen in der Regel unmittelbar zu neuen Konflikten. Ziel ist vielmehr eine nachhaltige Lösung, die alle denkbaren Optionen berücksichtigt und die Strukturen für eine langfristige und echte Beilegung bereitstellt.
Wenn Konflikte auftauchen, werden sie dort akzeptiert, wo sie sich zeigen. Sie werden früh erkannt und konstruktiv beigelegt – gerade weil die Kosten mit Zunehmen eines Konfliktes exponentiell steigen.
Eine offene Konfliktkultur wirkt präventiv und verhindert destruktive Verläufe. Das verbessert das Betriebsklima nachhaltig und senkt die direkten und indirekten Kosten von Konflikten signifikant. Ein systematischer Umgang mit Konflikten fördert nicht nur eine menschengerechte Organisation (und stellt den Menschen tatsächlich in den Mittelpunkt, wie dies viele Leitbilder versprechen), sondern steigert die Produktivität und einen reibungslosen Ablauf der wertschöpfenden Prozesse.
Was sind die Erfolgskriterien für ein Konfliktmanagementsystem?
Nur wenn Konfliktmanagementsysteme von den Mitarbeitern angenommen werden, können sie auch erfolgreich sein. Sehr früh werden deshalb die wichtigsten Interessengruppen einbezogen. Das System selbst ist nicht starr, sondern dynamisch ausgestaltet und verlangt nach einer kontinuierlichen Evaluierung und konsequenten Verbesserung.
Welche Vorarbeiten sind nötig?
Zunächst gilt es, das Organigramm, die Aufbauorganisation zu analysieren. Entlang welcher hierarchischer Ebenen verläuft die Weisungskette? Wie groß ist die Führungsspanne? Welche Entscheidungen werden zentral, welche dezentral gefällt? Wie differenziert ist die Arbeitsteilung? Wo bestehen strukturelle Freiräume? Welche Vorgänge sind stark reglementiert? Wie eigenständig agieren Abteilungen? Wird das Kongruenzprinzip immer und überall eingehalten, also sind Aufgabe, Kompetenz, Verantwortung und Information an einer Stelle kongruent vorhanden?
Weil aber die Aufbauorganisation noch nichts darüber aussagt, wie der Arbeitsablauf tatsächlich erfolgt, gilt es auch die Ablauforganisation zu analysieren. Was wird zur Ausführung einer Arbeit tatsächlich benötigt? Welche Unterstützungstätigkeiten sind wann und wo erforderlich? Wie wird mit Störungen umgegangen? Der erfolgreiche Betriebsablauf ist nicht durch die Einhaltung von Rechtsnormen gewährleistet, sondern durch die Bereitschaft zur erfolgreichen Zusammenarbeit aller Beteiligten.
Ein Konfliktmanagementsystem baut auf bereits vorhandene Strukturen und Prozesse auf und integriert Mitarbeiter, die sich bereits systematisch mit der Lösung von Konflikten auseinandergesetzt haben, an zentraler Stelle.
Welches Interventionsspektrum wird etabliert?
Aufkommende Konflikte sollen so früh wie möglich erkannt und angesprochen werden. Eine frühe Intervention vermeidet nicht nur eine unnötige Eskalation, Konflikte werden dann auch beigelegt, bevor sie entstehen. Dafür wird ein breites Spektrum an Methoden implementiert – dies mit dem primären Ziel, durch möglichst niederschwellige Interventionen die Autonomie der Parteien zu wahren. In dem bereitgestellten Methodenkoffer finden sich unter anderem Instrumente wie Verhandlungstrainings, Kommunikationscoachings, oder die gezielte Unterstützung durch Vorgesetzte, Konfliktlotsen, Konflikthelfer und unternehmensinterne Mediatoren.
Soll das Konfliktmanagementsystem top-down oder bottom-up implementiert werden?
Die Initiative kann von der Unternehmensleitung ausgehen, sie kann aber auch von Mitarbeitern der HR-Abteilung angestoßen oder von Teilen der Belegschaft gefordert werden. Das ist nicht entscheidend. Wirklich wichtig ist, dass die kulturellen Voraussetzungen im Unternehmen prinzipiell gegeben sind und damit verbunden die Bereitschaft, dass die entsprechenden Ressourcen für die Implementierung bereitgestellt werden. Klar ist nicht nur, dass keine Führungsaufgaben an das Konfliktmanagement übertragen werden, sondern auch, dass ein Konfliktmanagementsystem nicht nur die Führungskräfte, sondern die gesamte Belegschaft spürbar entlasten wird.
Braucht es organisationsinterne Konfliktmanager?
Eine interne, institutionalisierte Anlaufstelle mit ausgebildeten Konfliktmanagern und/oder Ombudspersonen ist nicht nur hilfreich, sondern erhöht die Effektivität und die Effizienz des Konfliktmanagementsystems.
Was sind Konfliktlotsen?
Mitarbeiter, die in Trainings qualifiziert wurden und Grundlagen der Mediation für die Intervention in Konflikten einzusetzen wissen, stehen Konfliktparteien beratend zur Seite, halten die Kommunikation aufrecht und übergeben gegebenenfalls den Konflikt an die im Konfliktmanagementsystem vorgesehene Instanz.
Quellen:
- Konfliktkostenstudie – Die Kosten von Reibungsverlusten in Industrieunternehmen, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
- Blasweiler, Karl Heinz/Wollstädter, Judith/Olbrisch, Constantin: Wirtschaftsmediation. Konflikte in der Arbeitswelt, 2023.